T R A U M T I G E R ("Seid vorsichtig in der Wahl eurer Hypnotiseure!") Träumen war verboten. Aber da Sie es uns nicht verbieten konnten, galt die Regel: "Wer sich mit Träumen beschäftigt, wird krank!" Die Kontrolle über unsere Phantasien sollte Ihnen vorbehalten bleiben. Das war der Grund, warum Ben es keinem erzählen wollte. Aber er konnte es nicht für sich behalten, weil er Angst davor hatte, krank zu werden. Sein Herz begann zu rasen, wenn er an das dachte, was in den Nächten geschah. Tom kam ihm vertrauenswürdig vor. Also sprach er mit ihm. "Fürchte dich nicht davor!" sagte Tom. "Jeder hat Träume. Es gibt nur keiner zu!" Ben atmete auf und sagte: "Es sind Raubkatzen!" Er machte eine kleine Pause. Dann fuhr er fort: "Sie kommen nachts in meinen Träumen! Ich stehe auf einer Mauer und sehe Katzen, die im Wüstensand liegen. Sie schauen mich an." Tom hätte natürlich keine Angst gehabt. "Zeige ihnen, was sie tun sollen!" schlug Tom vor. "Sie warten auf deine Befehle!" Das war typisch für Tom. Er war es gewohnt, dass andere taten, was er wollte. Aber Ben gab niemals Befehle. Wenn er etwas wollte, bat er darum. Und außerdem galt: 'Wer den Traum manipuliert, entfernt sich von Gott!' So hatten Sie es ihm beigebracht. "Was ist hinter dir?" fragte Tom. "Ich weiß es nicht. Ich habe die Katzen nie aus den Augen gelassen." antwortete Ben. "Schau dich um!" sagte Tom. "Wenn du nicht weißt, wo du bist, weißt du nicht, was du tun musst!" In der Nacht darauf schaute Ben sich um. Er entdeckte, dass die Mauer, auf der er stand, zu einem Tempel gehörte. Jedenfalls glaubte er, dass das große Gebäude aus massiven Steinen ein Tempel war. Er hatte sich bisher hinter seinem Rücken befunden. Es war das erste Mal, dass er die Katzen aus den Augen ließ. Sie standen plötzlich neben ihm und schauten in die gleiche Richtung wie er. Die Mauer, auf der er stand, war Teil einer Treppe, die zum Tempel führte. Am oberen Ende befand sich der Eingang aus Steinmauern, die senkrecht aufragten. Die Steine wölbten sich nach oben und bildeten einen Tunnel, der in den Tempel hineinführte. Die Katzen sahen Ben in die Augen. Er zögerte einen Moment, dann stieg er die Stufen nach oben. Die Katzen folgten ihm. Ben hörte ihr leises Schnurren. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er keine Angst mehr hatte. * Die Hochschule der Hypnotiseure widmete sich der Manipulation des menschlichen Bewusstseins. Man war stolz darauf, Menschen dazu zu bringen, etwas zu tun, was sie gar nicht tun wollten, ohne dass sie es jemals bemerkten. Die Professoren der Hochschule entwickelten ihre Techniken der Beeinflussung mit ihren Studenten, die einwilligen mussten, dass man sie zu Beginn des Studiums einem Test unterzog. Der Test bestand aus einem offiziellen Teil, durch den die Beeinflussbarkeit der Studenten überprüft wurde. Das Ergebnis wurde den Probanden mitgeteilt. Es gab aber auch einen inoffiziellen und geheimen Teil, durch den eine Hintertür in das Bewusstsein der Teilnehmer gewebt wurde, durch die die Professoren sich jederzeit Zugang zu dem verschaffen konnten, was die Studenten dachten und fühlten. * Als Ben erwachte, konnte er sich nicht mehr an das erinnern, was er im Tempel gesehen hatte. Er wusste noch, dass die Katzen ihm gefolgt waren, als er die Treppen zum Tempel hinaufgestiegen war. Aus dem Tunnel, der in den Tempel hineinführte, wehte ein leichter Wind. In der Luft lagen harmonische Klänge, die von Windspielen herrühren mussten. Angelockt von den Tönen, wollte er den Tempel betreten, aber da hörte er eine Stimme, die es ihm verbot. Er wollte sich über die Stimme hinwegsetzen, aber es war ihm nicht möglich, weiter zu gehen und dann verschwamm alles in seiner Erinnerung. Ben beschloß, Tom um Rat zu fragen. Tom war Student an der Hochschule der Hypnotiseure. "Kannst du mir helfen, Tom?" "Wo bist du denn?" "Im 'Silent Room' vom Cafe Mesmer." Die 'Silent Rooms' waren eine Erfindung der Studenten, die hinter das Geheimnis der Professoren gekommen waren. Es waren Räume, in denen keine Computer erlaubt waren und nicht einmal Smartphones oder Handys gestattet wurden. Die Räume waren sogar gegen WLAN- Strahlung abgeschottet und erlaubten es, die eigenen Gedanken und Gefühle zu erforschen, ohne manipuliert zu werden. Es gab nur einen Haken dabei. "Ich kann die Sperre in meinem Geist nicht überwinden." sagte Ben. "Du musst analysieren, wie die Sperre aufgebaut ist!" sagte Tom. "Dein Unterbewusstsein hat sie aufgebaut, um dich zu schützen!" "Ich glaube das nicht!" erwiderte Ben. "Ich glaube, dass sie jemand errichtet hat, um mir Wissen über meinen Geist vorzuenthalten." "So wie Gott, der verboten hat, vom Baum der Erkenntnis zu essen?" "Ja, so ungefähr. Ich muss wissen, was in diesem Tempel ist!" "Ist es denn nicht nur ein Traum?" Tom lächelte. "Ja, aber ich habe ihn erschaffen und ich will wissen, warum!" * Fortsetzung: Traumtiger 2