Schreibmuskel 0003

Meine Schreibmuskeln zu trainieren bedeutet auch, dass ich versuche, die Welt bewusster wahrzunehmen.
Je klarer ich sehe, höre, rieche, schmecke und ertaste, was um mich herum geschieht, um so deutlicher
kann ich meine Eindrücke in Worte fassen. So können andere beim Lesen spüren, was ich gespürt habe.
Wenn ich Dinge anfasse, erfahre ich etwas über ihre Größe, ihre Temperatur und ihre Masse.
Wenn ich sie anhebe, fühle ich, wie schwer oder leicht sie sind. Ich kann ihre Form ertasten und
ihre Konturen beschreiben, über die Oberfläche streichen, um ihre Struktur zu berühren. So kann
ich etwas über ihre Textur erzählen.
Einen Stoff zu berühren, ist eine Möglichkeit, diese Sinnlichkeit zu erleben.
Ich streichle über etwas Pelziges oder lasse meine Hand über etwas Glattes gleiten.
Wenn meine Hand einen rauen Untergrund spürt, wird sie vorsichtig. Sie liebt weichen Stoff, der
kühl in der Hand liegt, vor allem an einem heißen Sommertag.
Ich fühle mich in das Thema ein und schreibe:

Ein Kleiderstoff, dünn und so zart wie gehaucht,
in Nußschalen lagernd, noch niemals gebraucht,
wird herausgehoben von tastender Hand,
die noch nie zuvor etwas so Samtweiches fand.
Dieser Stoff fließt nun kühl über spürende Haut,
wird gedreht und gewendet und staunend beschaut.
Diese tastende Hand will auf Tuchfühlung gehen
und diesen Stoff nicht mehr nur wenden und drehen,
nein, sie will ihn begreifen und mit ihm zerfließen,
wenn wir sie nur ließen.
Doch bevor dies geschieht legen mit strengem Blick
wir den Stoff in die offenen Schale zurück.

Veröffentlicht in Pencildance.