Abschied von Tante Otti

Meine Tante ist vor einigen Jahren gestorben. 
Ich sehe sie noch vor mir, wie sie in dem Kühlraum der Friedhofskapelle 
aufgebahrt lag. Ganz ernst sah sie aus und ganz friedlich, wie in tiefe 
Meditation versunken.  Sie strahlte eine starke Präsenz aus und wirkte auf 
eine ganz intensive Weise mit der Erde verbunden. Als ich dort vor 
ihrem Leichnam stand, wurde mein Herz berührt und ich spürte einen tiefen Schmerz, 
aber auch eine große Verbundenheit mit meiner Tante. Diese tiefe Ruhe, die 
von ihr ausging, begleitet mich und ist ein Gefühl, dessen ich oft gewahr werde. 
Ich stehe dann oder liege drei Meter tief in der Erde. Nichts kann mich umhauen, 
denn ich weiß, dass dort unser aller Weg enden wird. Die Präsenz des Todes vor Augen, 
gewinnt das Leben an Intensität und viele Probleme verlieren plötzlich ihre Größe, 
weil die Perspektive, aus der ich sie betrachte, sich verändert.
Meine Tante hat immer gesagt, dass sie keine Angst vor dem Tod hat 
- und so lag sie auch da, furchtlos, ruhig und wie umgeben von einem kraftvollen 
Energiefeld. Ich wandere durch die Straßen dieser Stadt Düsseldorf, die seit 
32 Jahren meine Wahlheimat ist, und denke: Wenn ich nicht lerne, jeden meiner 
Schritte zu genießen, dann habe ich vergeblich gelebt. Wenn ich nicht lerne, 
mein Herz für diese wunderbare Welt zu öffnen, die mich umgibt, 
dann habe ich kostbare Zeit vertan. Wenn ich nicht lerne, mich selbst 
zu lieben, dann werde ich nicht im Frieden aus dieser Welt gehen können.
Ich bin einen langen Weg gegangen. 
Wenn ich mich umschaue, blicke ich auf diesen Weg zurück, 
der mich aus der Dunkelheit herausgeführt hat in das Licht hinein. 
Um mich herum ist es im Laufe dieser vielen Lebensjahre lichter geworden. 
Irgendwann habe ich begonnen, mich nach dem Licht zu sehnen und habe angefangen 
danach zu suchen. Manchmal konnte ich es finden. Aber ich habe es dann wieder 
verloren. Ich fand heraus, dass ich das Licht in mir selber finden musste, 
es nähren und pflegen musste, damit es in mir leuchtet.
Jetzt bin ich dabei, ein Leuchtturm zu werden.

"Exoriatur lumen quod gestavi in alvo"
"Let the light that I have carried in my womb shine forth"
"Das Licht, das ich in meinem Leib getragen habe, möge aufgehen."
(C.G.Jung)


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